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Greybox-Modelle zur Qualifizierung beschichteter Werkzeuge für die Hochleistungszerspanung
Termin:
30.11.2022
Fördergeber:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Der überwiegende Teil der Zerspanoperationen mit geometrisch bestimmter Schneide wird mit beschichteten Hartmetallwerkzeugen ausgeführt. Das reale, komplexe Einsatzverhalten dieser Werkzeuge ist mit dem derzeitigen Stand der Forschung jedoch weder zufriedenstellend messbar noch ausreichend modellhaft beschreibbar. Versagensbeginn, Verschleißfortschritt und Restlebensdauer können nicht mit hinreichender Sicherheit identifiziert oder prognostiziert werden. Das verhindert die wissensbasierte Auswahl und Qualifizierung beschichteter Werkzeuge für neue oder effizientere Zerspanprozesse. Um ein tiefergehendes Verständnis zu erlangen, muss das tribologische System der Zerspanung umfassender und ganzheitlicher ausgewertet und analysiert werden. Fortschritte unter anderem in der Werkstoffanalytik, der Messtechnik und der Datenanalyse werden noch nicht ausreichend in die Beschreibung des Schädigungsverlaufs einbezogen. Jede einzelne Disziplin verfügt über ein hervorragendes, spezifisches Vorwissen, das in Form von Whitebox-Modellen immer detaillierter und atomistischer beschrieben wird. Dazu zählen z. B. numerische Simulationen, die mit zunehmender Detaillierung jedoch immer rechen- und zeitintensiver werden. Die hochgradig nicht linearen Wechselwirkungen der Realität können aufgrund notwendiger, vereinfachender Annahmen dennoch nie vollständig beschrieben werden. Demgegenüber können reine Blackbox-Modelle bei ausreichender und relevanter Datenbasis komplexe Korrelationen modellhaft abbilden und sind lernfähig. Physikalische Wirkzusammenhänge bleiben jedoch häufig unverstanden und ihre Robustheit in Bezug auf veränderliche Randbedingungen unsicher.
Das übergeordnete Forschungsziel ist somit, die bisher erarbeitete und vorliegende deterministische Modellwelt (Whitebox) mit einer neuen, zu beforschenden datengetriebenen Modellwelt (Blackbox) in Greybox-Modellen zu kombinieren. Mit diesen Greybox-Modellen sollen dann die rein deterministisch nicht beschreibbaren zeitlichen Veränderungen der Werkzeuge im Einsatz bis hin zum Standzeitende erfasst werden. Die robusten, aber ungenauen Prognosen aus Whitebox-Modellen sollen mithilfe datengetriebener und lernfähiger Blackbox-Modelle in ein präzises Zielfenster konvergiert werden. Bereits existierende Algorithmen der Statistik oder des maschinellen Lernens, die im Verständnis einer Blackbox-Modellierung agieren, bilden dafür einen Lösungsraum und sollen nicht gänzlich neu entwickelt, aber genutzt oder modifiziert werden. Damit wird eine wissensbasierte Auswahl und Qualifizierung beschichteter Werkzeuge für neue oder effizientere Zerspanprozesse ermöglicht.
Ziel aller Projekte ist der Aufbau individueller Greybox-Modelle, die eine Qualifizierung beschichteter Werkzeuge für die Hochleistungszerspanung ermöglichen. Damit soll die derzeit existierende Lücke zwischen stationären Werkstoffeigenschaften vor und nach dem Einsatz, also das instationäre Systemverhalten der beschichteten Werkzeuge in der Zerspanung, erforscht und geschlossen werden. Voraussetzung dafür ist, dass in jedem Projekt die notwendige Expertise aufseiten der Werkstoff-/Beschichtungstechnik und der Fertigungstechnik vorliegt. Die statistische Absicherung und die Bewertung der Daten hinsichtlich Plausibilität und Qualität sind weitere wichtige Bestandteile des Lösungswegs, daher ist ebenfalls Expertise aus den Qualitätswissenschaften erforderlich. Bei Bedarf kann Expertise aus der Messtechnik, Statistik oder der wissenschaftlichen Datenanalyse in das Projekt integriert werden. Die Entwicklung neuer Messtechnik oder Werkstoffanalytik steht nicht im Vordergrund, kann aber im Einzelfall zu neuen Lösungsansätzen führen und soll daher nicht generell ausgeschlossen werden. Vorgesehen ist, (Konsortial-)Projekte zu fördern, die sich bevorzugt aus zwei bis drei Disziplinen zusammensetzen.
Das Schwerpunktprogramm ist für einen Förderzeitraum von zwei mal drei Jahren ausgelegt. Schwerpunkte der ersten Phase sind die Datenerfassung und der Aufbau der Greybox-Modelle. Die Qualität und Signifikanz experimenteller Daten aus Mess- und Analyseverfahren werden bewertet. Virtuelle Daten können zusätzlich einfließen. Ziel ist ein konkreteres Verständnis des realen, zeitabhängigen Beanspruchungskollektivs. Das makroskopische Systemverhalten der Werkstoffverbunde soll besser abgebildet werden, z. B. können die gesamte Randzone des Hartmetalls mit Hartstoffschicht sowie der Einfluss von beispielsweise null- bis dreidimensionalen Gitterfehlern oder auch Eigenspannungen stärker berücksichtigt werden. Zur statistischen Absicherung muss auf eine Wiederholbarkeit der Versuche und Generierung korrelierbarer Daten geachtet werden. Es wird erwartet, dass durch die Verwendung der Greybox-Modelle bei ausreichend großer Datenmenge neue Signifikanzen zu Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen sichtbar werden, die in der zweiten Phase grundlegend erforscht werden können. Damit kann das entwickelte Greybox-Modell verfeinert werden, um zunehmend zu validen Prognosen zu gelangen. Die Qualität der Greybox-Modelle kann zusätzlich durch eine Übertragbarkeit auf veränderte Tribosysteme sichergestellt werden. Dies beinhaltet z. B. eine Variation der Werkzeuggeometrie, der Stoff- oder Formeigenschaften der Triboelemente oder der Zerspanprozessparameter. Als Ergebnis sollen konkrete Entscheidungshilfen zur Verfügung stehen, die für den Zerspaner die Auswahl geeigneter Werkzeuge erleichtern und den Werkzeughersteller zu einer besseren Werkzeugempfehlung für die konkrete Zerspanoperation eines spezifischen Werkstoffs befähigen.
Weitere Informationen:
http://www.dfg.de/foerderung/info_wissenschaft/2022/info_wissenschaft_22_39