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Der Deutsche Sängerbund in Mitteldeutschland in der Zeit des Nationalsozialismus: Studien zu Liedkultur und Sängerfesten
Projektleiter:
Finanzierung:
Land (Sachsen-Anhalt) ;
Es handelt sich um eine regionalmusikgeschichtliche Studie, die neben einer Rekonstruktion und Dokumentation des mitteldeutschen Männerchorwesens zwischen 1933 und 1945 besonders sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen in den Mittelpunkt stellt. Der Schwerpunkt liegt in der Untersuchung der sozialgeschichtlichen Phänomene Ideologisierung und Instrumentalisierung: also der Männerchor als Propagandainstrument des nationalsozialistischen Staates. Der Chor(-gesang), als eine öffentlichkeitswirksame und gemeinschaftsstiftende Form der Musikausübung, vereint nicht nur Menschen mit ähnlichem sozialem Hintergrund und gleichartigen Ansichten, sondern ein Gesangsverein kann durch öffentliche Auftritte Botschaften, Anschauungen, Überzeugungen und auch Emotionen an eine breite Masse weitergeben.
Untersucht wurden drei Ansatzpunkte der Ideologisierung und Instrumentalisierung: die Organisation, das Repertoire und die Feste, da diese die Bestandteile sind, die einen öffentlich wirksamen Chor ausmachen. Daher ist die Studie auch in diese drei Hauptpunkte gegliedert.
Für die Untersuchungen wurden unter anderem emotionshistorische Methoden verwendet. Die Betrachtung emotionshistorischer Aspekte und die Anwendung entsprechender Forschungsansätze ist im Kontext der nationalsozialistischen Indienstnahme besonders sinnvoll, denn wie Adolf Hitler bereits in Mein Kampf über „[d]ie Aufgabe der Propaganda“ feststellte, „muß ihr Wirken auch immer mehr auf das Gefühl gerichtet sein und nur sehr bedingt auf den sogenannten Verstand.“

Bisher gibt es nur sehr wenig Informationen und Erkenntnisse über das mitteldeutsche Chorwesen im Nationalsozialismus. Das liegt vor allem an der schwierigen Quellenlage. Wichtigste Quelle neben den Liederbüchern des Deutschen Sängerbundes war daher die Deutsche Sängerbundeszeitung, die bis zu ihrer Einstellung im September 1944 regelmäßig erschien und als bundesamtliches Organ des Deutschen Sängerbundes von allen Gesangsvereinen verpflichtend zu beziehen war. In ihr sind neben allgemeinen Mitteilungen und künstlerischen Besprechungen auch Rubriken enthalten, die sich auf die regionale Berichterstattung konzentrieren. Ergänzend dazu dienten die regionalen Sängerzeitschriften Thüringens (bis Dezember 1936 erschienen) und Sachsens (bis Mai 1941 erschienen) sowie Festführer und Programme als Quellen.
Anhand dieser Quellen wurden Aufführungsdaten für den Raum Mitteldeutschland gesammelt. Die entstandenen 1981 Datensätze liefern bedeutende Erkenntnisse über regionale Konzerte und Feste sowie deren Akteure und geben Aufschluss über das aufgeführte Repertoire zwischen 1933 und 1944.

Das Hauptaugenmerk der Studie liegt auf dem Repertoire, da es nicht nur das Kernstück von Chorarbeit ist, sondern es eine große Wirkmacht nach Außen entfaltet und sich aufgrund seiner Beschaffenheit als textgebundene Musik entscheidend für politische Einflussnahme eignet. Daher wurden alle vom Deutschen Sängerbund veröffentlichten Liederquellen, darunter Liederbücher, -hefte und Reihen, die bis 1943 erschienen sind, genauer betrachtet. Hinzu kamen die Pflichtlieder der NSDAP, die durch die Eingliederung des Deutschen Sängerbundes in das NS-Volkskulturwerk 1942 verpflichtendes Repertoire wurden.
Bei der Repertoireuntersuchung wurde dreistufig vorgegangen: Zuerst wurde das bundesamtliche Repertoire akribisch gesichtet, um die darin enthaltenen 1171 Lieder einer Kategorisierung zu unterziehen. Durch dieses Erhebungsverfahrens konnten thematische Ausrichtung und Entwicklung des bundesamtlichen Repertoires im Zeitraum von 1908 bis 1943 aufgezeigt werden sowie Erkenntnisse über die Dimensionen der emotionalen Beeinflussung der Gesangsvereine und der Bevölkerung durch das Repertoire gewonnen werden.
Im zweiten Schritt wurden die gesammelten Aufführungsdaten ausgewertet, um zu erfahren, welche Werke tatsächlich in Mitteldeutschland im Untersuchungszeitraum zur Aufführung kamen. Danach wurde eruiert, aus welchen bundesamtlichen Bezugsquellen diese Lieder stammten, um Rückschlüsse auf die Bedeutung der vorher betrachteten einzelnen Liederquellen zu ziehen. Dabei konnte festgestellt werden, dass auch eine größere Anzahl von Werken zur Aufführung kam, die nicht vom Deutschen Sängerbund herausgegeben wurde.
Für den dritten Teil der Repertoireuntersuchung wurden die Werke aus den Aufführungsdaten genauer analysiert, die den Kategorien Heimat/Vaterland, Kampflieder oder Propaganda-
lieder angehören. Dieses Vorgehen erwies sich als notwendig, da die Lieder in Bezug auf ihre nationalsozialistischen Ideologeme, deren musikalische und sprachliche Umsetzung sowie mögliche Emotionalisierungen untersucht wurden.

Neben diesen umfangreichen Repertoireanalysen wurden die Verbandsstruktur und -vorgaben und deren Umsetzung in Mitteldeutschland sowie die Sängerfestkultur in zwei Hauptkapiteln dargestellt. Anhand der überlieferten Festführer, -berichte und Programme sowie mit den Besprechungen in der Deutschen Sängerbundeszeitung wurden die Festabläufe dargestellt, verglichen und die Entwicklung im Untersuchungszeitraum beleuchtet und die Rolle der gezielten Emotionalisierung betrachtet. Unbestrittener Höhepunkt der Festkultur im Untersuchungszeitraum war das Deutsche Sängerbundesfest 1937 in Breslau unter der Schirmherrschaft Joseph Goebbels und in Anwesenheit Adolf Hitlers. Beim Breslauer Bundesfest kam den Vereinen aus Mitteldeutschland eine besondere Rolle zu. So waren allein über 10 000 Sänger aus Sachsen anwesend und der Sängergau Thüringen veranstaltete eine Gaufeierstunde mit 2000 Sängern.

Ergebnisse
Die angestrebte Rekonstruktion der Außendarstellung und Bedeutung des Männerchorwesens in Mitteldeutschland zwischen 1933 und 1945 konnte in großen Teilen trotz schwieriger Quellenlage vorgenommen werden. In den dazu notwendigen Betrachtungen konnten signifikante Merkmale herausgearbeitet werden, die sowohl für die Geschichte Mitteldeutschlands als auch für die Geschichte des gesamten Männerchorwesens größte Relevanz aufzeigen.
Durch die Politisierung des gesamten Männerchorwesens wurde ein Propagandainstrument geschaffen, dessen Wirkkraft für die Ideologisierung des deutschen Volkes nicht zu unterschätzen ist. Dafür waren vor allem die (vaterländischen) Traditionen des vereinsmäßigen Männerchorwesens eine entscheidende Basis, ohne die eine Ideologisierung und daraus resultierend die Instrumentalisierung nicht von statten hätte gehen können. Es konnte gezeigt werden, dass die politische Indienstnahme über die Jahre hinweg zunahm und sich vor allem während des Krieges zuspitzte. Es konnte aber auch gezeigt werden, dass dieser Prozess von den meisten Vereinen des Deutschen Sängerbundes unterstützt und sogar durch eigene Initiativen wie Werbemaßnahmen, Beteiligung an Festen und Veranstaltungen sowie die eigenmächtige Repertoiresuche vorangetrieben wurde.

Schlagworte

Deutscher Sängerbund, Musik im Nationalsozialismus, Männerchor, Volkslied
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