Viele Fragen offen: Diskussion um Rechtfertigung für Sedierung am Lebensende ist wichtig
von
Cornelia Fuhrmann
Wann ist ein Leiden am Lebensende unerträglich? Wann ist ein Eingreifen mittels Sedierung gerechtfertigt, um Leiden zu lindern? Und wie kann das beurteilt werden, wenn die oder der Betroffene sich selbst nicht mehr äußern kann? Das sind essenzielle ethische und medizinische Fragen, denen ein Behandlungsteam bei der palliativen Versorgung am Lebensende gegenübersteht.
Professor Dr. med. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat gemeinsam mit der Philosophin Dr. Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Probleme bei der Anwendung des Leidensbegriffs im Rahmen der Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis untersucht. Erste Ergebnisse der interdisziplinären Untersuchung haben sie nun online in der renommierten Fachzeitschrift "Journal of Pain and Symptom Management (JPSM)" veröffentlicht, die Veröffentlichung des gedruckten Artikels erfolgt am 2. August 2018.
"Bei einer Sedierung werden die Patientinnen und Patienten in eine Art Schlaf versetzt, mit dem Ziel, dass sie das Leiden nicht mehr bewusst wahrnehmen", erklärt der Medizinethiker und Internist Schildmann. Es sei jedoch bislang nicht übereinstimmend festgelegt, in welchen Situationen ein "unerträgliches Leiden" vorliege, und inwiefern auf dieser Grundlage eine Sedierung gerechtfertigt werden könne.
Die Autoren zeigen, dass viele Diskussionen über die Angemessenheit einer Sedierung am Lebensende auf ungeklärten Vorstellungen von der Beschaffenheit des Leidens beruhen. So hänge beispielsweise die Antwort auf die Frage, wer darüber entscheiden solle, ob Leiden vorliege oder nicht, auch davon ab, ob dem Leiden eher ein subjektiver oder objektiver Charakter zugeschrieben werde. Das Verständnis von Leiden sei auch relevant für die Beantwortung der Frage, wer über die Sedierung entscheide. Gehe man beispielsweise von einem objektiven Leidenskonzept aus, dann sei die Bewertung durch das Behandlungsteam zentral für die Entscheidung über die Sedierung. Hier bestehe eine Gefahr darin, dass über den Patienten hinweg entschieden werde. Andererseits werfe ein subjektiv geprägtes Leidenskonzept Probleme bei der Beantwortung der Frage auf, ob ein vom Patienten empfundenen Leiden ausreiche, die medizinische Maßnahme einer Sedierung zu rechtfertigen.
Umstritten sei insbesondere, ob neben körperlichen Leiden wie Schmerz oder Atemnot auch bei nicht-körperlichem, sogenanntem psycho-existenziellem Leiden am Lebensende, eine Sedierung zulässig sei. "Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die Praxisempfehlungen internationaler Fachgesellschaften hinsichtlich der Frage, welche Art von Leiden am Lebensende mit der Sedierung behandelt werden soll, unterscheiden", sagt Schildmann.
Schildmann und Bozzaro verweisen in ihrer Analyse darauf, dass in der aktuellen Diskussion in der Medizin häufig von einem subjektiven Leidenskonzept ausgegangen wird, was bedeutet, dass nur der Leidende selbst bestimmen kann, ob er oder sie leidet und was erträgliches oder unerträgliches Leiden ist. Während ein solches Leidenskonzept sich gut in eine ganzheitliche Betreuung am Lebensende einfüge, fehlen wichtige Kriterien, die es dem Behandlungsteam ermöglichen, die Angemessenheit einer Entscheidung über eine Sedierung zu überprüfen. "Objektive Leidenskonzepte, die beobachtbare Kriterien für die Feststellung von Leiden nennen, können hier eine Hilfestellung bieten", sagt Schildmann. Diese werden umso wichtiger, wenn sich der oder die Betroffene nicht mehr selbst äußern kann.
"Es sind hier allerdings noch viele Fragen offen, die weiterer empirischer und konzeptioneller Forschungsarbeiten bedürfen", so Schildmann. Ein wichtiges Ziel sei es, einen Leidensbegriff für die Handlungspraxis am Lebensende zu definieren, der den aufgezeigten Schwierigkeiten Rechnung trägt und eine verlässliche Grundlage für Entscheidungen in der medizinischen Praxis bietet. Die Arbeit zeige zudem, dass sich viele Fragen nur im Dialog von Theorie und Praxis beantworten lassen. Er freue sich daher, dass Bozzaro und seine Arbeitsgruppe gemeinsam mit Verbundpartnern aus Erlangen und München ethische, rechtliche und klinische Herausforderungen der Sedierung am Lebensende in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundforschungsprojekt bearbeiten können.
Originalpublikation: "Suffering in Palliative Sedation: Conceptual Analysis and Implications for Decision-Making in Clinical Practice, DOI: 10.1016/j.jpainsymman.2018.04.003
Professor Dr. med. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat gemeinsam mit der Philosophin Dr. Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Probleme bei der Anwendung des Leidensbegriffs im Rahmen der Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis untersucht. Erste Ergebnisse der interdisziplinären Untersuchung haben sie nun online in der renommierten Fachzeitschrift "Journal of Pain and Symptom Management (JPSM)" veröffentlicht, die Veröffentlichung des gedruckten Artikels erfolgt am 2. August 2018.
"Bei einer Sedierung werden die Patientinnen und Patienten in eine Art Schlaf versetzt, mit dem Ziel, dass sie das Leiden nicht mehr bewusst wahrnehmen", erklärt der Medizinethiker und Internist Schildmann. Es sei jedoch bislang nicht übereinstimmend festgelegt, in welchen Situationen ein "unerträgliches Leiden" vorliege, und inwiefern auf dieser Grundlage eine Sedierung gerechtfertigt werden könne.
Die Autoren zeigen, dass viele Diskussionen über die Angemessenheit einer Sedierung am Lebensende auf ungeklärten Vorstellungen von der Beschaffenheit des Leidens beruhen. So hänge beispielsweise die Antwort auf die Frage, wer darüber entscheiden solle, ob Leiden vorliege oder nicht, auch davon ab, ob dem Leiden eher ein subjektiver oder objektiver Charakter zugeschrieben werde. Das Verständnis von Leiden sei auch relevant für die Beantwortung der Frage, wer über die Sedierung entscheide. Gehe man beispielsweise von einem objektiven Leidenskonzept aus, dann sei die Bewertung durch das Behandlungsteam zentral für die Entscheidung über die Sedierung. Hier bestehe eine Gefahr darin, dass über den Patienten hinweg entschieden werde. Andererseits werfe ein subjektiv geprägtes Leidenskonzept Probleme bei der Beantwortung der Frage auf, ob ein vom Patienten empfundenen Leiden ausreiche, die medizinische Maßnahme einer Sedierung zu rechtfertigen.
Umstritten sei insbesondere, ob neben körperlichen Leiden wie Schmerz oder Atemnot auch bei nicht-körperlichem, sogenanntem psycho-existenziellem Leiden am Lebensende, eine Sedierung zulässig sei. "Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die Praxisempfehlungen internationaler Fachgesellschaften hinsichtlich der Frage, welche Art von Leiden am Lebensende mit der Sedierung behandelt werden soll, unterscheiden", sagt Schildmann.
Schildmann und Bozzaro verweisen in ihrer Analyse darauf, dass in der aktuellen Diskussion in der Medizin häufig von einem subjektiven Leidenskonzept ausgegangen wird, was bedeutet, dass nur der Leidende selbst bestimmen kann, ob er oder sie leidet und was erträgliches oder unerträgliches Leiden ist. Während ein solches Leidenskonzept sich gut in eine ganzheitliche Betreuung am Lebensende einfüge, fehlen wichtige Kriterien, die es dem Behandlungsteam ermöglichen, die Angemessenheit einer Entscheidung über eine Sedierung zu überprüfen. "Objektive Leidenskonzepte, die beobachtbare Kriterien für die Feststellung von Leiden nennen, können hier eine Hilfestellung bieten", sagt Schildmann. Diese werden umso wichtiger, wenn sich der oder die Betroffene nicht mehr selbst äußern kann.
"Es sind hier allerdings noch viele Fragen offen, die weiterer empirischer und konzeptioneller Forschungsarbeiten bedürfen", so Schildmann. Ein wichtiges Ziel sei es, einen Leidensbegriff für die Handlungspraxis am Lebensende zu definieren, der den aufgezeigten Schwierigkeiten Rechnung trägt und eine verlässliche Grundlage für Entscheidungen in der medizinischen Praxis bietet. Die Arbeit zeige zudem, dass sich viele Fragen nur im Dialog von Theorie und Praxis beantworten lassen. Er freue sich daher, dass Bozzaro und seine Arbeitsgruppe gemeinsam mit Verbundpartnern aus Erlangen und München ethische, rechtliche und klinische Herausforderungen der Sedierung am Lebensende in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundforschungsprojekt bearbeiten können.
Originalpublikation: "Suffering in Palliative Sedation: Conceptual Analysis and Implications for Decision-Making in Clinical Practice, DOI: 10.1016/j.jpainsymman.2018.04.003
weitere Informationen :
Universitätsmedizin Halle (Saale)
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Uni Halle
Originalpublikation