Übersetzung räumlicher Gerechtigkeitsvorstellung in einen Indikator - Genese, Verwendung und Folgen des Königsteiner Schlüssels
Projektleiter:
Prof. Dr. Reinhold Sackmann , Fabian Schmid
Projekthomepage:
Finanzierung:
Haushalt;
Forschergruppen:
Der zentrale Forschungsgegenstand der Dissertation ist der Königsteiner Schlüssel. Es handelt sich dabei um einen etablierten Verteilungsschlüssel, über den Anteile der deutschen Bundesländer bei gemeinsamen Aufgaben bestimmt werden. Einem breiteren Publikum wurde der Königsteiner Schlüssel im Rahmen der politischen Problembewältigung der Flüchtlingskrise bekannt. In der Asylpolitik wird so die Anzahl der Flüchtlinge bestimmt, die ein Bundesland aufnehmen muss. Tatsächlich hat dieser Verteilungsschlüssel aber schon eine lange Tradition im politischen Arrangement der Bundesrepublik. Seine Erfindung und erste Implementierung lag historisch sogar vor der Einführung des Grundgesetzes und stellte eine frühe Kooperation der deutschen Länder im Bereich der Förderung von Forschungsinstitutionen mit überregionaler Bedeutung dar. Seitdem hat eine Ausbreitung dieses politischen Verteilungsinstruments in viele weitere Politikfelder stattgefunden. Es können mindestens 100 einzelne aktuelle Anwendungen identifiziert werden. Anteile der Länder an gemeinsamen Länderaufgaben können dabei sowohl in Form von Zahlungen wie etwa bei der Forschungsförderung oder auch in Form von konkreten Handlungen wie etwa bei der Aufnahme von Flüchtlingen erfolgen. Prinzipiell ist das Verteilungssystem nicht nur auf den Fall der deutschen Bundesländer beschränkt, sondern wird auch für andere Konstellationen von territorialen Einheiten angewendet, wie etwa Kommunen. Der jeweilige Anteil wird für die Beteiligten nach dem Königsteiner Schlüssel "zu zwei Dritteln nach dem Verhältnis ihrer Steuereinnahmen und zu einem Drittel nach dem Verhältnis ihrer Bevölkerungszahl" jährlich neu bestimmt (Art. 6 des Königsteiner Staatsabkommens).
Bei den Anwendungen des Königsteiner Schlüssels handelt es sich um Übersetzungspraktiken zwischen den politischen Konstellationen des deutschen Föderalismus, einem Indikator und lokalen Formen der politischen Problembewältigung. Indikatoren sind statistische Maßzahlen, die komplexe Daten in eine einfache Zahl oder Rangposition verdichten, welche für Politiker und Öffentlichkeit bedeutungstragend sind (Merry 2011, S. 86). Sie sind "unveränderliche, mobile Elemente" mit denen Distanzen überwunden werden können (Latour 2006). Der Königsteiner Schlüssel stellt in diesem Sinne für die Beteiligten eine Zahl oder Karte dar, die in ähnlicher Weise, wie auch Wissenschaftler die Welt quantifizieren oder kartographieren, fungiert (Latour 2002). Zahlen transportieren zudem im Gegensatz etwa zu sprachlichen Argumenten weniger Kontingenz und behalten ihren Sinngehalt in unterschiedlichen Kontexten weitgehend bei (Heintz 2007). Als "boundary objects" können Indikatoren für unterschiedliche Gruppen verschiedener sozialer Bereiche eine feste unveränderliche Identität wahren, aber auch an lokale Bedürfnisse und Einschränkungen angepasst werden
(Star/Griesemer 1989). Der Königsteiner Schlüssel fügt sich dabei in einen breiteren Trend der zunehmenden Verwendung von Indikatoren und Quantifizierung gesellschaftlicher Felder, insbesondere des Regierens, ein (Rottenburg et. al. 2015).
Indikatoren produzieren nicht nur Wissen, sondern schaffen Bezugspunkte für politische Kontroversen und rahmen diese dadurch (Desrosières 2005; Rametsteiner et al. 2009). Sie tragen aber auch zu einer Entpolitisierung bei, indem sie auf eine automatische, technische Weise zu Entscheidungen führen (Rose 1991, S.674). Im Fall des Königsteiner Schlüssels wird eine Verhandlungseinigung zwischen den Ländern des deutschen Föderalismus verstetigt und schwer aufzulösende Nullsummenspiele größtenteils der Debatte entzogen. Dadurch erwies sich dieser Verteilungsschlüssel nicht nur als konfliktmindernd, sondern wurde auf Grund der Einstimmigkeit zwischen den Ländern zu einem Ausdruck einer gerechten Verteilung, welcher sich teilweise verselbstständigt hat. Dabei werden über die Formelelemente des Schlüssels "Steueraufkommen" und "Bevölkerungszahl" bestimmte Gerechtigkeitsaspekte wie etwa finanzieller Ausgleich oder demographischer Wandel miteinbezogen, wohingegen andere Aspekte wie lokale Bedürfnisse oder Bevölkerungsdichte unberücksichtigt bleiben. Das Forschungsthema hat entsprechend hohe gesellschaftspolitische Relevanz, da Fragen eines gerechten Ausgleichs zwischen territorialen Einheiten, wie etwa zwischen ost- und westdeutschen Ländern, adressiert werden. Da es sich bei den Anwendungsfeldern des Königsteiner Schlüssels jeweils um spezielle, abgegrenzte Probleme handelt, für die eine Verteilungslösung gefunden werden soll, und somit um keine globale Umverteilung, geht es hier um Probleme "lokaler Gerechtigkeit" (Elster 1991).
Die Promotionsschrift ist 2023 unter dem Titel "Genese, Diskurse und Verwendung des Königsteiner Schlüssels – Zur Übersetzung räumlicher Gerechtigkeit in einen Indikator" von Fabian Schmid eingereicht worden und wurde erfolgreich am 7.11.2023 verteidigt zur Erlangung des Titels Dr. phil. der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Bei den Anwendungen des Königsteiner Schlüssels handelt es sich um Übersetzungspraktiken zwischen den politischen Konstellationen des deutschen Föderalismus, einem Indikator und lokalen Formen der politischen Problembewältigung. Indikatoren sind statistische Maßzahlen, die komplexe Daten in eine einfache Zahl oder Rangposition verdichten, welche für Politiker und Öffentlichkeit bedeutungstragend sind (Merry 2011, S. 86). Sie sind "unveränderliche, mobile Elemente" mit denen Distanzen überwunden werden können (Latour 2006). Der Königsteiner Schlüssel stellt in diesem Sinne für die Beteiligten eine Zahl oder Karte dar, die in ähnlicher Weise, wie auch Wissenschaftler die Welt quantifizieren oder kartographieren, fungiert (Latour 2002). Zahlen transportieren zudem im Gegensatz etwa zu sprachlichen Argumenten weniger Kontingenz und behalten ihren Sinngehalt in unterschiedlichen Kontexten weitgehend bei (Heintz 2007). Als "boundary objects" können Indikatoren für unterschiedliche Gruppen verschiedener sozialer Bereiche eine feste unveränderliche Identität wahren, aber auch an lokale Bedürfnisse und Einschränkungen angepasst werden
(Star/Griesemer 1989). Der Königsteiner Schlüssel fügt sich dabei in einen breiteren Trend der zunehmenden Verwendung von Indikatoren und Quantifizierung gesellschaftlicher Felder, insbesondere des Regierens, ein (Rottenburg et. al. 2015).
Indikatoren produzieren nicht nur Wissen, sondern schaffen Bezugspunkte für politische Kontroversen und rahmen diese dadurch (Desrosières 2005; Rametsteiner et al. 2009). Sie tragen aber auch zu einer Entpolitisierung bei, indem sie auf eine automatische, technische Weise zu Entscheidungen führen (Rose 1991, S.674). Im Fall des Königsteiner Schlüssels wird eine Verhandlungseinigung zwischen den Ländern des deutschen Föderalismus verstetigt und schwer aufzulösende Nullsummenspiele größtenteils der Debatte entzogen. Dadurch erwies sich dieser Verteilungsschlüssel nicht nur als konfliktmindernd, sondern wurde auf Grund der Einstimmigkeit zwischen den Ländern zu einem Ausdruck einer gerechten Verteilung, welcher sich teilweise verselbstständigt hat. Dabei werden über die Formelelemente des Schlüssels "Steueraufkommen" und "Bevölkerungszahl" bestimmte Gerechtigkeitsaspekte wie etwa finanzieller Ausgleich oder demographischer Wandel miteinbezogen, wohingegen andere Aspekte wie lokale Bedürfnisse oder Bevölkerungsdichte unberücksichtigt bleiben. Das Forschungsthema hat entsprechend hohe gesellschaftspolitische Relevanz, da Fragen eines gerechten Ausgleichs zwischen territorialen Einheiten, wie etwa zwischen ost- und westdeutschen Ländern, adressiert werden. Da es sich bei den Anwendungsfeldern des Königsteiner Schlüssels jeweils um spezielle, abgegrenzte Probleme handelt, für die eine Verteilungslösung gefunden werden soll, und somit um keine globale Umverteilung, geht es hier um Probleme "lokaler Gerechtigkeit" (Elster 1991).
Die Promotionsschrift ist 2023 unter dem Titel "Genese, Diskurse und Verwendung des Königsteiner Schlüssels – Zur Übersetzung räumlicher Gerechtigkeit in einen Indikator" von Fabian Schmid eingereicht worden und wurde erfolgreich am 7.11.2023 verteidigt zur Erlangung des Titels Dr. phil. der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Kontakt
Prof. Dr. Reinhold Sackmann
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Emil-Abderhalden-Str. 26-27
06108
Halle (Saale)
Tel.:+49 345 5524252
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