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Representation and configuration of political order in the Holy Empire and in Poland-Lithuania
Finanzierung:
Stiftungen - Sonstige;
Die wissenschaftliche Tagung "Politische Ordnungsvorstellungen und Ordnungskonfigurationen im Heiligen Römischen Reich und in Polen-Litauen in der Frühen Neuzeit - Vergleiche und Transfers", organisiert von einer jüngeren Generation von Historikern aus Oxford, Göttingen und München im Berliner Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, machte sich zur Aufgabe, die von der deutschen und polnischen Historiographie nationalgeschichtlich postulierten Grenzen zu überschreiten und das frühneuzeitliche Reich auf der einen Seite und die polnisch-litauische Rzeczpospolita auf der anderen einer vergleichenden Analyse zu unterziehen.
Der Ausgangspunkt der Überlegungen der Organisatoren, wie sie Christian Preusse (Oxford) und Tomasz Gromelski (Wien/Oxford) in ihren einführenden Darstellungen dargelegt haben, war die Annahme, dass beide politischen Entitäten im historischen Bogen vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert weitgehende strukturelle Ähnlichkeiten und bemerkenswerte verfassungsgeschichtliche Parallelität aufweisen würden, die in der geopolitischen Beschaffenheit des Reiches beziehungsweise Polen-Litauens, in ihren verfassungs- und konfessionspolitischen Ordnungskonfigurationen sowie in den politischen und theologischen Diskursen zum Ausdruck kämen. Gestützt auf die moderne historische Politikforschung setzten sich Preusse und Gromelski für eine vergleichende historische Analyse beider politischen Entitäten ein, welche die politische Praxis einerseits und die Welt- und Wertvorstellungen andererseits im Blick behalten beziehungsweise sie in Verbindung bringen und kontrastieren sollte. Somit kämen die Analogien und Parallelen der politischen Ordnungskonfigurationen und Ordnungsvorstellungen des Reiches und Polen-Litauens sowie mögliche Transferprozesse zum Vorschein. Dem Charakter und der Dynamik des Transfers von Ideen und Praktiken gälte es sich dabei im Besonderen zu widmen.
Diesem Plädoyer schloß sich in seinem Vortrag Michael G. Müller (Halle a. d. Saale) an, indem er die verfassungsgeschichtlichen "Sonderwege" in Mitteleuropa und ihren Bezug zur Frühen Neuzeit thematisierte. Diese seien in Krisen- und Reformdiskursen der Frühen Neuzeit angelegt gewesen und in nationalgeschichtlich kolorierter, romantischer Emphase im 19. Jahrhundert popularisiert und nationalstaatlich definiert worden, was sie bis auf den heutigen Tag geblieben sind. Wer konstruierte diese "Sonderwege", fragte Müller, wann und zu welchen Zwecken? Wo fangen diese Wege an und wohin führten beziehungsweise führen sie? Ohne diese Fragen abschließend zu beantworten, konzentrierte Müller sich darauf, dass die "Sonderweg"-Konstruktion stets eine Art Dialektik von Traditionserfindung und des Zuschüttens von Tradition demonstriere - ein Phänomen, das die nationalgeschichtlich inspirierte "Sonderweg"-Konstruktion mit der frühneuzeitlichen Wissensproduktion und Konstruktion von Ordnungskonfigurationen teile. Es handele sich um die in verfassungspolitischem Sinne grundsätzliche Frage der Soziabilität des politischen Ideengutes sowie um die Frage nach dessen Politisierungsmöglichkeiten: Wie denkt man sich zusammen, zu welchen Zwecken und unter welchen Prämissen?
Dieser Thematik widmeten sich im Laufe der Tagung - ausgehend von den unterschiedlichen historiographischen Traditionen und gestützt auf unterschiedliche Paradigmen - die Überlegungen von Maciej Ptaszynski (Warschau) und Damien Tricoire (Paris/München) sowie die Vorträge von George Lukowski (Birmingham), Edward Opalinski (Warschau) und Jolanta Choinska-Mika (Warschau). Die Überlegungen von Maciej Ptaszynski widmeten sich dem Widerstandsrecht in den ständischen Debatten der polnisch-litauischen Rzeczpospolita im 16. Jahrhundert, einem in der polnischen Geschichtsschreibung wohl kaum beschrittenen Terrain. In seiner Darlegung des Themas dürfte Ptaszynski durch die moderne angelsächsische, deutsche und österreichische Geschichtsforschung - insbesondere bei Robert von Friedeburg und Arno Strohmeyer - inspiriert worden sein; auf sie nahm er jedoch keinen direkten Bezug. Dennoch sind die Parallelen zwischen den Widerstandsdebatten in den deutschen, ganz besonders in den österreichischen, Territorien und denen in Polen-Litauen, die dank der Darlegung Ptaszynskis zum Vorschein kamen, bemerkenswert. Zum einem zeigen sie sich in den Ursprüngen des Widerstandsrechts: Sowohl in Reichsterritorien als auch in Polen-Litauen bestanden diese aus der Widerstands- und Rechtstradition, Herkommen, Geschichte und historischen Rechtskonstruktionen, im polnisch-litauischen Falle habe darüber hinaus laut Ptaszynski die dem Aristotelismus verpflichtete Tradition der Krakauer Akademie eine maßgebende Rolle gespielt. Zum anderen ist die Verfassungsparallelität in der Verzahnung des Rechtlichen respektive Politischen mit dem Religiösen zu sehen. Dass sich ius resistandi und causa confessionis auch in Polen-Litauen nicht auseinander denken ließen, zeigte Ptaszynski anschaulich.
Das polnisch-litauische Widerstandsrecht sei Ptaszynski zufolge mit dem Ausklang des 16. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten. Die Verzahnung des Politischen und Religiösen habe jedoch bis tief in das 17. Jahrhundert Bestand gehabt, wie Damien Tricoire in seinen Ausführungen darlegte. Mehr noch, in der Zeit der Wasa-Könige dürfte sich die Verzahnung des Religiösen und Politischen intensiviert haben, allemal bekam sie ein barockes semantisches Outfit. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sei es laut Tricoire zu einer neuen Sakralisierung der königlichen Herrschaft gekommen, ja zu einer Katholisierung des Politischen, was auf den großen Einfluß der Societas Jesu auf die Herrschaftsvorstellungen der Könige zurückzuführen sei. Die königliche Frömmigkeit - Pietas - und die königliche Gerechtigkeit - Iustitia - seien zu den "Imperativen des Staates" stilisiert worden, sie hätten sich jedoch nicht durchsetzen können. Das ausgewiesene Iustitia-Defizit der derart gestalteten politischen Ordnungskonfiguration habe, so Tricoire, dazu geführt, dass diese ihre politische Funktionalität einbüßte: Die Stärke der Monarchie - ihr sakraler Herrschaftscharakter - habe demnach ihrer Schwäche - d.h. der mangelnden politischen Funktionalität und der offensichtlich äußerst schwachen politischen Kommunizierbarkeit des sakralen Herrschaftskonzeptes - unterliegen müssen.
Dies führte jedoch nicht zum Erlöschen des sakralen Herrschaftskonzeptes im polnisch-litauischen politischen Diskurs, wie man aufgrund des Vortrages von George Lukowski schließen konnte. Lukowski widmete sich dem polnischen aufgeklärten Republikanismus und seinem Verfassungsprojekt, das eine bemerkenswerte soziale Innovation, ja einen sozialen Radikalismus demonstriert habe - an diesem sei er laut Lukowski schließlich jedoch gescheitert -, zugleich habe er auf den sakralen Duktus nicht verzichten können: Die polnisch-litauische Maiverfassung sei in der Perspektive ihrer Architekten ein geradezu sakraler Akt gewesen. Sie selbst habe dennoch desakralisierte, ja aufgeklärte Politik- respektive Herrschaftsinstumente in die polnisch-litauische Verfassungsordnung eingeführt; im Geiste der Maiverfassung sollte diese dem Prinzip von "checks-and-balances" unterworfen werden. Mit anderen Worten, die sakralen Ordnungsvorstellungen gingen noch im späten 18. Jahrhundert quasi naturgemäß Hand in Hand mit den desakralisierten Ordnungskonfigurationen. In dieser Hinsicht dürfte sich die polnische Aufklärung als wenig innovativ ausgewiesen haben. Dieselbe Allianz des Sakralen und Säkulären erblickte Edward Opalinski in Verfassungsinstitutionen des polnischen Adels, in Konföderation und Rokosz. Den Ausführungen von Jolanta Choinska-Mika zufolge habe sie auch den Sejm ausgezeichnet. Dabei sei es stets um die soziale Akzeptanz der Beschlüsse der adeligen Versammlungen und Bünde und somit um die Konstruktion der Legitimität der Verfassungsordnung selbst gegangen.
Parallel zu diesem sakralisierten Verfassungsdiskurs sei in Polen-Litauen - ähnlich wie im Reich - ein desakralisierter, interessengeleiteter, vom "utilitaristischen Dispositiv" getriebener Diskurs am Werk gewesen, der die jüdische Bevölkerung betroffen habe. Klemens Kaps (Wien) zeigte in seinen Ausführungen, wie sich dieses im Grunde antijüdische "utilitaristisches Dispositiv" in der Zeit der Aufklärung intensivierte und an Dynamik gewann, maßgeblich habe es jedoch bereits die politischen Ordnungsvorstellungen und somit freilich auch Ordnungskonfigurationen des 16. und 17. Jahrhunderts gekennzeichnet, wie Jürgen Heyde (Halle a d. Saale), der über das Thema Juden und die Instrumentalisierung des Themas in den polnisch-litauischen Reform- respektive Verfassungsdebatten vortrug, und Igor Kakolewski (Warschau), der die Frage der christlichen Toleranz gegenüber Juden im Reich und in Polen-Litauen vergleichend thematisierte, zeigen konnten.
Der Frage der Dynamiken, welche die Verfassungsordnung im Heiligen Römischen Reich und in Polen-Litauen ausgezeichnet haben, sind in ihren Vorträgen Horst Carl (Gießen) und Peter Collmer (Zürich) nachgegangen. Horst Carl widmete sich dabei den genossenschaftlichen Traditionen und Republik-Konzepten im Heiligen Römischen Reich und konstatierte, dass das föderative, genossenschaftliche Element - das er als den anthropologischen Rahmen der verschiedenartigen Ordnungsvorstellungen im Reich charakterisierte - im Laufe der Frühen Neuzeit eine beschleunigte Verrechtlichungsdynamik eingeleitet habe und die Selbstorganisation von Reichsständen ermöglichte, was die Verherrschaftlichung respektive Verorbrigkeitlichung der Ordnungsvorstellungen und Ordnungskonfigurationen zur Folge gehabt habe. Republikanismus und konsensgestützte Herrschaft identifizierte er als potentiell aufschlussreiche Beschreibungskategorien für den Vergleich Altes Reich/Polen-Litauen. Die unmittelbaren, "praktischen" Dimensionen von derartigen verfassungspolitischen Tendenzen zeigte in seinem Vortrag Peter Collmer auf, indem er die Ordnungsvorstellungen, welche die Sachsen-Könige in Polen-Litauen implementieren wollten, unter dem Aspekt ihrer Normativität und Nachhaltigkeit sowie unter dem Aspekt der Sicherung und Stärkung der königlichen Herrschaft thematisierte. Anschaulich vermochte er zu zeigen, wie die sächsischen Ordnungsvorstellungen mit der polnischen administrativen Praxis zunächst kollidierten. Nach einem Transferprozess, der sich durch Anpassung und Simplifizierung der sächsischen administrativen Praktiken ausgezeichnet habe, sowie im Laufe des Aushandlungsprozesses zwischen dem königlichen Hof, granden und Untertanen konnten sie dennoch Fuß fassen und hatten sogar über die epocha saxa hinaus Bestand.
Der Vergleich der administrativen Praktiken im Reich und in Polen-Litauen war in der Folge das Thema der Vorträge von Wojciech Krawczuk (Krakau) und Hans-Jürgen Bömelburg (Giessen). Wojciech Krawczuk widmete sich in seinem Vortrag der Frage der "Macht", die von den Kanzleien der polnischen Könige beziehungsweise des Kaisers ausging. Der Begriff beziehungsweise das Konzept "Macht" selbst wurde in seinen Ausführungen nicht thematisiert, dennoch vermochte er sehr erhellend die Parallelen in der Entwickung beider Kanzleien seit dem 15. Jahrhundert aufzuzeigen, die er sowohl in der Kanzleistruktur als auch in dem Kompetenzbereich der Kanzleien erblickte. Enge Parallelen in der Entwicklungsdynamik und zugleich bemerkenswerte Unterschiede im Kompetenzbereich konnte Hans-Jürgen Bömelburg in seiner vergleichenden Analyse des Reichskammergesichts und der polnisch-litauischen Tribunalverfassung aufzeigen. Anders als im Fall der administrativen Praktiken, über welche Peter Collmer vortrug, sei laut Bömelburg der Transfer im Justizbereich weniger geglückt, was nicht zuletzt auf die unterschiedliche Zusammensetzung der beiden Foren zurückzuführen sei. Das polnische Krontribunal zeichnete sich nämlich durch eine im Vergleich zum Reichskammergericht geringere Professionalisierung aus. Beide Höchstgerichte hatten jedoch ähnliche Funktionen und garantierten einen autonomen ständischen Rechtsaustrag.
Auf geringe Transfermöglichkeiten im Bereich des Schul- beziehungsweise Elementarbildungswesens musste man nach den Ausführungen von Alan Ross (Göttingen) schließen, der sich die protestantischen Lateinschulen im Reich und in Polen-Litauen zu seinem Thema machte. Mit seiner vergleichenden Analyse "zweier dezentralisierter Bildungssysteme" eröffnete Ross - wie die Diskussion im Anschluss an seine Präsentation zeigte - einen neuen Weg in der vergleichenden historischen Bildungsforschung, welche sich der Frage nach der Rolle des Schulwesens in der jeweiligen politischen Ordnung zu widmen gedenkt. Ähnliche Ambitionen brachten die Gedanken von Elke Faber (Passau) zum Ausdruck, die sich mit den Provinzialsynoden und ihren Funktionen in den politischen Ordnungskonfigurationen des Reiches beziehungsweise Polen-Litauens vergleichend auseinandersetzte. Beiden Forschern ist zu wünschen, dass sie ihren Ambitionen folgen können.
Der vorbildlich organisierten, von der Gerda Henkel Stiftung und der German History Society unterstützten Tagung wollen die Organisatoren einen Sammelband mit den Vorträgen folgen lassen. Die Vorträge wären ihn wert und das wissenschaftliche Publikum dürfte ihn sehr zu schätzen wissen. Allemal setzte die Tagung, welche die Möglichkeiten einer im Sinne Marc Blochs geforderten vergleichenden Geschichte Europas auf die Probe stellte, ohne sich von ihren Grenzen entmutigen zu lassen - dies allein eine bemerkenswerte Leistung -, einen Meilenstein in der deutsch-polnischen Frühneuzeitforschung.
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