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Fehlernarrative in der Außenpolitik demokratischer Staaten
Finanzierung:
Haushalt;
Die Außenpolitikforschung ist von Fehlern und Misserfolg fasziniert. Prominente Beispiele hierfür sind die Beschwichtigungspolitik Großbritanniens gegenüber Nazideutschland vor dem 2. Weltkrieg (vgl. Huncker 2008), der japanische Überraschungsangriff auf Pearl Harbour 1941 (vgl. Wohlstetter 1962); die Besetzung des Suezkanals 1956 (vgl. Verbeek 2003); die Invasion in der Schweinebucht 1961 (vgl. Dunne 2011); der Vietnamkrieg (vgl. Khong 1992); die versuchte Befreiung der US Geiseln im Iran 1980 (vgl. Houghton 2001); die VN-Mission in Somalia 1992/1993 und der Genozid in Ruanda (vgl. Brunck 2008); der Irakkrieg 2003 (vgl. Mitchell/Massoud 2009) oder der Austritt Großbritanniens aus der EU (vgl. Richardson/Rittberger 2020).
Das hauptsächliche Interesse der Forschung ist dabei, warum es zu diesen Fehlern gekommen ist (vgl. Janis 1989; Walker/Malici 2011). Die Fehlerforschung verweist diesbezüglich unter anderem auf kognitive Restriktionen, Fehlwahrnehmungen und Emotionen individueller Entscheidungsträger (Jervis 1976; McDermott 2004; Brummer 2016); sozialpsychologische Dynamiken in kleinen Entscheidungsgruppen, wie insbesondere Groupthink (Janis 1982; Hart et al. 1997); bürokratische Politik und organisatorische Routinen (Allison/Zelikow 1999; Levy 1986) oder innenpolitische Zwänge (Schweller 2003). Ein wichtiger Literaturstrang befasst sich zudem mit der Frage, was man aus Fehlern lernen kann (May 1992; Levy 1994; Howlett 2012) und wie diese in Zukunft zu vermeiden sind (Rose 1991; Kruck et al. 2018; Bürgin/Oppermann 2020).
Ein wichtiges Manko der bisherigen Forschung zu außenpolitischen Fehlern ist allerdings, dass sie die Einschätzung der analysierten Entscheidungen als "Fehler" in der Regel als gegeben annimmt (Marsh/McConnell 2010: 567). Fehler werden als objektive Fakten gesehen, die nach vorgegebenen Standards identifiziert und verifiziert werden können. Insbesondere werden politische Entscheidungen als Fehler verstanden, wenn sie bestimmte objektive Kriterien oder Ziele nicht erreichen (McConnell 2010: 349-351; Gray 1996: 76) oder wenn ihre Kosten höher sind als ihr Nutzen (King/Crewe 2013: 4; Dunleavy 1995: 52).
Diese objektivistische Fehlerforschung (vgl. Howlett et al. 2015) vernachlässigt jedoch, dass "Fehler" nicht ein inhärentes Attribut von Politik sind, sondern dass es sich dabei um Einschätzungen und Bewertungen dieser Politik handelt. Politische Entscheidungen und Politikergebnisse sprechen nicht für sich, sondern werden erst durch die ihnen im politischen Diskurs zugewiesene Bedeutungen zu Erfolg oder Misserfolg. Die Frage nach der intersubjektiven Wahrnehmung von Außenpolitik und außenpolitischen Entscheidungen als "Fehler" ist bisher relativ unbeachtet geblieben (Oppermann/Spencer 2016a; 2016b; 2018; Spencer/Oppermann 2020). Es besteht nicht zuletzt eine Forschungslücke zu der Frage, warum manche Außenpolitik bzw. außenpolitische Entscheidungen als Fehler gesehen werden und andere nicht.
An diesen blinden Stellen der Erforschung außenpolitischer Fehler setzt das Projekt an. Es verfolgt in Anlehnung an Mark Bovens und Paul ‘t Hart (1996: 4-11) einen konstruktivistischen Ansatz, wonach außenpolitische Fehler als im politischen Diskurs intersubjektiv geteilte Bedeutungszuschreibungen verstanden werden können. Danach definiert das Projekt außenpolitische Fehler als "foreign policies or foreign policy decisions which are widely seen by socially and politically relevant actors to involve blameworthy mistakes of the responsible decision-makers” (Bovens/‘t Hart 1996: 15). Derartige Fehlerzuschreibungen sind in der Regel umstritten und ergeben sich aus diskursiven Auseinandersetzungen. Bewertungen von Außenpolitik werden dabei durch die Werte, Identitäten und Interessen des Betrachters beeinflusst und reflektieren vorherrschende Machtpositionen in Politik und Gesellschaft (Bovens and ‘t Hart 1996: 21-32; Brändström/Kuipers 2003: 279-282; Marsh/McConnell 2010: 566-568). Die Bezeichnung einer außenpolitischen Entscheidung oder Maßnahme als "Fehler" ist zudem ein hochgradig politischer Akt (Gray 1998: 16), der genutzt werden kann, um politische Gegner zu diskreditieren und einen eigenen politischen Vorteil zu erlangen (Howlett 2012: 547). Der Vorwurf einen "Fehler" begangen zu haben, fordert die Zurückweisung dieses Vorwurfs heraus und führt somit zu einem Konflikt über die Interpretation außenpolitischer Entscheidungen (Boin et al. 2009: 82-85).
Ausgehend von diesem Forschungsstand ist die Leitfrage des Projekts, wodurch sich überzeugende und durchsetzungsstarke Fehlerkonstruktionen auszeichnen und warum sich manche im politischen Diskurs durchsetzen und andere nicht.
Zur Beantwortung dieser Frage knüpfen wir an eigene Vorarbeiten an, in denen wir gezeigt haben, wie außenpolitische Fehler in diskursiven Auseinandersetzungen zwischen Fehlernarrativen und Gegennarrativen, die eine Fehlerzuschreibung zurückweisen, konstruiert werden. Solche Auseinandersetzungen sind geradezu ein Wesensmerkmal demokratischer Politik, in der außenpolitische Kontroversen oft durch dichotome Fehler- und Gegennarrative von Regierung und Opposition geprägt sind (Oppermann/Spencer 20016c; 2018; Spencer/Oppermann 2020). Narrative können hierbei als eine Form der verbalen Repräsentation (White 1987: 26) verstanden werden, die Diskurse strukturieren und organisieren. Narrativanalyse ist eine spezifische Art der Diskursanalyse, die sich, ähnlich der Metaphernanalyse (Oppermann/Spencer 2013), auf bestimmte Diskurselemente konzentriert (Spencer 2017). Diese Methode hat sich in der Politikwissenschaft und in den Internationalen Beziehungen (IB) etabliert und wird von einer Reihe von Autor*innen genutzt, um ein immer breiteres Spektrum an politischen Themen zu bearbeiten (Miskimmon/O’Loughlin/Roselle 2013). Dies beinhaltet beispielsweise Analysen nationaler Identität (Campbell 1998; Hønneland 2010) und Sicherheit (Hansen 2006; Krebs 2015), außenpolitischer Entscheidungen (Ringmar 1996; Browning 2008), nicht-staatlicher Akteure (Kruck/Spencer 2013; Spencer 2016; 2019; Pfeifer/Spencer 2019), populistischer Mobilisierung (Freistein/Gadinger 2019) oder der öffentlichen Meinung (De Graaf/Dimitriu/Ringsmose 2015).
Narrative sind aus Sicht dieser Forschung aus zwei Gründen zentral für die Politikwissenschaft . Erstens belegen Erkenntnisse der kognitiven Linguistik und der narrativen Psychologie, dass Narrative ein fundamentales Instrument des menschlichen Denkens und der menschlichen Informationsverarbeitung sind (Sarbin 1986; Turner 1996; Sommer 2009). Zweitens zeigen Arbeiten in der Geschichtswissenschaft sowie insbesondere die Forschung von Hayden White (1987), dass Narrative in jeder Form von Kultur zu finden sind und eine essentielle Rolle für die Gemeinschaftsbildung und den Aufbau einer gemeinsamen Identität spielen (Suganami 2008; Erll 2009; Fludernick 2009). Menschen verstehen ihre soziale Umwelt durch und in Form von Narrativen, leiten aus Narrativen Identität ab und legitimieren Handeln mit Narrativen (Gadinger/Jarzebski/Yildiz 2014). Narrative "leisten politische Arbeit" (Kohler Riessmann 2008: 8), indem sie zur Konstitution von Normen, Identität und Ideologien beitragen und fundamental für die Konstruktion der sozialen und politischen Welt sind (Somers 1994; Shenhav 2006; Krebs 2015; Spencer 2016).
Das Projekt baut auf diesen Einsichten der interdisziplinären Narrativforschung auf und knüpft dabei an methodische, theoretische und empirische Forschungsergebnisse der Antragsteller in früheren Publikationen an (Oppermann/Spencer 2016b, 2018; Spencer/Oppermann 2020). Es entwickelt eine bestimmte Methode der Narrativanalyse (Spencer 2016), nach der sich Narrative durch drei strukturierende Elemente auszeichnen: (1) das Setting der Geschichte, (2) die Charakerisierung der Akteure und (3) das kausale und temporale emplotment der Ereignisse.
Mit Hilfe dieser Art von Narrativanalyse haben die Antragsteller in früheren Publikationen bereits die narrative Konstruktion von außenpolitischen Fehlern im Kontext der deutschen Enthaltung bei der UN Resolution 1973 zur Intervention in Libyen 2011 (Oppermann/Spencer 2016b), die Debatte in den USA zum Nuklearabkommen mit dem Iran (Oppermann/Spencer 2018) sowie das Brexit-Referendum in Großbritannien (Spencer/Oppermann 2020) untersucht. Die offene Frage dieser Vorarbeiten, die auch in der theoretischen Debatte der Narrativforschung unbeantwortet bleibt, betrifft allerdings die Gründe für die Dominanz oder Marginalität von (Fehler-)Narrativen im politischen und öffentlichen Diskurs: Warum setzten sich bestimmte Fehlernarrative durch und nicht andere? Mögliche Erklärungsangebote fokussieren hierbei auf die Macht und Autorität der Erzähler eines Narrativs (Krebs 2015; Van Ham 2002), die Strukturen und Inhalte von Narrativen (Oppermann/Spencer 2018) oder die Intertextualität von Narrativen, beispielsweise ihre Konsistenz mit etablierten narrativen Genres (Spencer/Oppermann 2020). Was jedoch bisher fehlt, ist eine ausformulierte Theorie, welche die Dominanz und Marginalität von Fehlernarrativen und damit die diskursive Konstruktion außenpolitischer Fehler erklären könnte und die über mehrere Fälle hinweg empirisch plausibilisiert wurde.
Fazit: Es gibt eine lange, zumeist positivistische, Tradition der Analyse außenpolitischer Fehler, die vor allem die Ursachen solcher Fehler in den Blick nimmt. Allerdings hat sich die Außenpolitikforschung bislang nicht systematisch mit der Frage beschäftigt, warum manche außenpolitische Entscheidungen im politischen Diskurs als Fehler konstruiert werden (können) und andere nicht. Diese Forschungslücke will das Projekt schließen. Hierzu verwendet es eine Methode der Narrativanalyse und formuliert erstmals eine Theorie der sozialen Konstruktion außenpolitischer Fehler. Ein besseres Verständnis wie und unter welchen Bedingungen außenpolitische Entscheidungen im politischen Diskurs als Fehler gedeutet werden ist in mindestens zweierlei Hinsicht von großer Relevanz. Erstens umfassen politische Kontroversen über Außenpolitik im Kern häufig widerstreitende Deutungsversuche von Außenpolitik als Fehler oder Erfolg. Zweitens beeinflusst der Ausgang solcher Auseinandersetzungen im politischen Diskurs die Reputation außenpolitischer Entscheidungsträger sowie die positiven oder negativen Lehren, die aus einer außenpolitischen Entscheidung für die Zukunft gezogen werden.

Kooperationen im Projekt

Publikationen

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2018
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2017
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