Formen der Abweichung in britischen (nicht-kanonischen) Romanen der Mitte des 18. Jahrhunderts
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Haushalt;
Obwohl der Kanon des britischen Romans des 18. Jahrhunderts im Zuge neuer feministischer und kulturwissenschaftlicher Forschung eine deutliche Erweiterung erfahren hat und bspw. um Werke bedeutender zeitgenössischer Autorinnen - wie z.B. Aphra Behn, Eliza Haywood und Frances Burney, um nur drei der bedeutendsten zu nennen - ergänzt wurde, spiegelt er kaum das Angebot und die Vielfalt des Buchmarktes wider, die sich Zeitgenossen bot. Wie Simon Dickie in seiner wichtigen Studie zur Comic novel darlegt (Cruelty and Laughter, 2011, v.a. Schlusskapitel), übersieht die Forschung nach wie vor einen literaturhistorisch und kulturwissenschaftlich signifikanten Teil der Romanproduktion.
Einen bedeutenden Prozentsatz der bisher unbeachteten Texte bilden die sogenannten Ramble Novels - ein pikaresker Texttyp, der sich dadurch auszeichnet, dass pícaro-ähnliche ProtagonistInnen eine Reihe von oft komischen Episoden durchleben, während sie sich - dezidiert jenseits der Aufklärungsideale wie Vernunft, Höflichkeit/Anstand und Sympathie/Gefühl - um das Erreichen ihrer individuellen sozialen wie ökonomischen Ziele bemühen. Nach Dickie beruhe der kommerzielle Erfolg dieser Texte auf ihrem Unterhaltungswert bzw. auf ihrer ‚anarchischen Komik‘; die seit Ian Watt in den Mittelpunkt gestellten Funktionen des realistischen Romans hingegen (z.B. Identifikation des Lesers mit den Figuren, Belehrung, Reflexion von Handlungs- und Erfahrungswissen) griffen hier nicht.
Dem so umrissenen Textkorpus widmet sich das vorliegende Projekt. Obgleich die Texte sicher ästhetisch ihren kanonisierten Verwandten nachstehen, greift eine grundlegende Be- bzw. Abwertung der Texte als primitiv meines Erachtens zu kurz. Weder das Fehlen komplexer Handlungsstränge noch der Rückgriff auf eindimensionale Figuren ohne ausgeprägtes Innenleben schließen eine Identifikation und Belehrung aus, zählte dies doch zu den ‚aufklärerischen‘ Kernelementen der englischen Moralischen Wochenschriften der Jahrhundertwende; keines dieser Elemente behindert zudem grundsätzlich einen potentiell kritischen Impetus. Der anonym publizierte, zweibändige Roman The Jilts; Or, Female Fortune Hunters (1756) beispielsweise verhandelt anhand eines in der Zeit zentralen moralischen Typus, der Jilt, die Möglichkeiten und Grenzen der Handlungsspielräume von Frauen und führt so die Diskussion fort, die in früheren und (mittlerweile) kanonisierten Texten wie Aphra Behns The Fair Jilt; or, The History of Prince Tarquin and Miranda (1688) und Eliza Haywoods The City Jilt; or, The Alderman Turn’d Beau (1726) begonnen wurde. Dabei zeigt er sowohl ein Interesse am Innenleben der Protagonistin als auch - in ihrer quasi-satirischen, in multipler Weise von den moralischen (und juristischen) Normen abweichenden Polygamie - einen durchaus kulturkritischen Impetus.
Ziel des Projekts ist jedoch nicht, wie die Argumentation vielleicht vermuten lässt, die ‚Heimführung‘ dieser nicht-kanonischen Texte in das (Watt’sche) Paradigma des realistischen Romans. Ausgehend von der essentiellen Rolle des sozial, moralisch, kulturell und psychisch Devianten in diesen Texten, richtet sich das Forschungsinteresse stattdessen auf das für die Aufklärung so zentrale Verhältnis von Norm und Devianz, das sich in den Romanen spiegelt - und zwar auf zwei Ebenen:
(1) Genre-/Textimmanente Abweichungsmuster: Wie stellen sich die Texte die zeitgenössische Gesellschaft vor? Welche Formen von Gesellschaft spiegeln sich hier wider? Welche Abweichungsmuster lassen die Figurenzeichnung und -interaktion, die Handlungsstrukturen, die Figurenkonstellationen, etc. erkennen? Welches Menschenbild reflektieren die Texte, v.a. vor dem Hintergrund, dass die überwiegend lasterhaften ProtagonistInnen überwiegend keine Besserung und/oder Bestrafung erfahren? Wie beziehen die Texte explizit und implizit Stellung zu den Werten und Normen der Aufklärung? Wie wirkt sich die Devianz der Figuren auf die innertextliche Gesellschaft aus?
(2) Literaturhistorische Bewertung/Kanon: Wie verhält sich der außerordentliche kommerzielle Erfolg der nicht-kanonisierten Ramble Novels zur kulturellen Dominanz der kanonisierten Romane der Zeit? Inwiefern lässt sich der Erfolg der Ramble Novel als Bedrohung des Anspruchs der Aufklärung lesen, eine vernunftgeleitete Gemeinschaft zu formen? Und welche Auswirkungen hatte die um die Lesergunst konkurrierende Ramble Novel auf die Stabilisierung des kulturellen Gedächtnisses und der kollektiven Identität als moderne aufgeklärte Gesellschaft, vorangetrieben u.a. durch die zeitgenössische Kritik?
Ausgehend von James Ravens Verzeichnis der Romanproduktion der 1750er und 1760er Jahre (British Fiction 1750-1770, 1987) sowie zeitgenössischen Katalogen von Leihbibliotheken beabsichtigt das Projekt, unter Einbezug der gesellschaftlichen Bedingungen zur Produktion, Verteilung und Rezeption von Literatur sowie zeitgenössischer (literarischer) Bestrebungen zur Verhaltensnormierung einen Teilbereich des britischen literarischen Felds in der Jahrhundertmitte zu rekonstruieren und zu analysieren, der in literaturwissenschaftlicher, literatursoziologischer und kulturwissenschaftlicher Hinsicht erheblich unterbelichtet scheint.
Einen bedeutenden Prozentsatz der bisher unbeachteten Texte bilden die sogenannten Ramble Novels - ein pikaresker Texttyp, der sich dadurch auszeichnet, dass pícaro-ähnliche ProtagonistInnen eine Reihe von oft komischen Episoden durchleben, während sie sich - dezidiert jenseits der Aufklärungsideale wie Vernunft, Höflichkeit/Anstand und Sympathie/Gefühl - um das Erreichen ihrer individuellen sozialen wie ökonomischen Ziele bemühen. Nach Dickie beruhe der kommerzielle Erfolg dieser Texte auf ihrem Unterhaltungswert bzw. auf ihrer ‚anarchischen Komik‘; die seit Ian Watt in den Mittelpunkt gestellten Funktionen des realistischen Romans hingegen (z.B. Identifikation des Lesers mit den Figuren, Belehrung, Reflexion von Handlungs- und Erfahrungswissen) griffen hier nicht.
Dem so umrissenen Textkorpus widmet sich das vorliegende Projekt. Obgleich die Texte sicher ästhetisch ihren kanonisierten Verwandten nachstehen, greift eine grundlegende Be- bzw. Abwertung der Texte als primitiv meines Erachtens zu kurz. Weder das Fehlen komplexer Handlungsstränge noch der Rückgriff auf eindimensionale Figuren ohne ausgeprägtes Innenleben schließen eine Identifikation und Belehrung aus, zählte dies doch zu den ‚aufklärerischen‘ Kernelementen der englischen Moralischen Wochenschriften der Jahrhundertwende; keines dieser Elemente behindert zudem grundsätzlich einen potentiell kritischen Impetus. Der anonym publizierte, zweibändige Roman The Jilts; Or, Female Fortune Hunters (1756) beispielsweise verhandelt anhand eines in der Zeit zentralen moralischen Typus, der Jilt, die Möglichkeiten und Grenzen der Handlungsspielräume von Frauen und führt so die Diskussion fort, die in früheren und (mittlerweile) kanonisierten Texten wie Aphra Behns The Fair Jilt; or, The History of Prince Tarquin and Miranda (1688) und Eliza Haywoods The City Jilt; or, The Alderman Turn’d Beau (1726) begonnen wurde. Dabei zeigt er sowohl ein Interesse am Innenleben der Protagonistin als auch - in ihrer quasi-satirischen, in multipler Weise von den moralischen (und juristischen) Normen abweichenden Polygamie - einen durchaus kulturkritischen Impetus.
Ziel des Projekts ist jedoch nicht, wie die Argumentation vielleicht vermuten lässt, die ‚Heimführung‘ dieser nicht-kanonischen Texte in das (Watt’sche) Paradigma des realistischen Romans. Ausgehend von der essentiellen Rolle des sozial, moralisch, kulturell und psychisch Devianten in diesen Texten, richtet sich das Forschungsinteresse stattdessen auf das für die Aufklärung so zentrale Verhältnis von Norm und Devianz, das sich in den Romanen spiegelt - und zwar auf zwei Ebenen:
(1) Genre-/Textimmanente Abweichungsmuster: Wie stellen sich die Texte die zeitgenössische Gesellschaft vor? Welche Formen von Gesellschaft spiegeln sich hier wider? Welche Abweichungsmuster lassen die Figurenzeichnung und -interaktion, die Handlungsstrukturen, die Figurenkonstellationen, etc. erkennen? Welches Menschenbild reflektieren die Texte, v.a. vor dem Hintergrund, dass die überwiegend lasterhaften ProtagonistInnen überwiegend keine Besserung und/oder Bestrafung erfahren? Wie beziehen die Texte explizit und implizit Stellung zu den Werten und Normen der Aufklärung? Wie wirkt sich die Devianz der Figuren auf die innertextliche Gesellschaft aus?
(2) Literaturhistorische Bewertung/Kanon: Wie verhält sich der außerordentliche kommerzielle Erfolg der nicht-kanonisierten Ramble Novels zur kulturellen Dominanz der kanonisierten Romane der Zeit? Inwiefern lässt sich der Erfolg der Ramble Novel als Bedrohung des Anspruchs der Aufklärung lesen, eine vernunftgeleitete Gemeinschaft zu formen? Und welche Auswirkungen hatte die um die Lesergunst konkurrierende Ramble Novel auf die Stabilisierung des kulturellen Gedächtnisses und der kollektiven Identität als moderne aufgeklärte Gesellschaft, vorangetrieben u.a. durch die zeitgenössische Kritik?
Ausgehend von James Ravens Verzeichnis der Romanproduktion der 1750er und 1760er Jahre (British Fiction 1750-1770, 1987) sowie zeitgenössischen Katalogen von Leihbibliotheken beabsichtigt das Projekt, unter Einbezug der gesellschaftlichen Bedingungen zur Produktion, Verteilung und Rezeption von Literatur sowie zeitgenössischer (literarischer) Bestrebungen zur Verhaltensnormierung einen Teilbereich des britischen literarischen Felds in der Jahrhundertmitte zu rekonstruieren und zu analysieren, der in literaturwissenschaftlicher, literatursoziologischer und kulturwissenschaftlicher Hinsicht erheblich unterbelichtet scheint.
Kontakt
Dr. Theresa Schön
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung
Franckeplatz 1
06110
Halle (Saale)
Tel.:+49 345 5521766