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Autokratie oder konsensorientiertes Regiment? Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1758-1817) und seine Regierung aus dem Kabinett; Erforschung der Kabinettsprotokolle des Fürsten von Anhalt-Dessau
Projektbearbeiter:
Dr. Paul Beckus
Finanzierung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ;
Das Forschungsprojekt widmet sich der Herrschaftspraxis eines Autokraten, des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Bekannt ist dieser Fürst vor allem als Bauherr von Wörlitz. Dieses Gartenreich prägte das Herrscherbild vom Fürsten sowohl zu seinen Lebzeiten als auch in der historischen Forschung bis in die Gegenwart. Er wird vielfach apostrophiert als Aufklärer, als Landesvater, als Fürsprecher religiöser Toleranz, als Vorsteher eines Modellstaats etc. Bei diesen Zuschreibungen blieb seine politische Herrschaftspraxis jedoch weitgehend unberücksichtigt.
Diese Herrschaftspraxis soll in dieser Untersuchung im Zentrum stehen. Hierfür steht mit den Kabinettsprotokollen des Fürsten eine beinahe einzigartige Quelle zur Verfügung, die eine dichte Beschreibung des Herrschaftshandelns des Fürsten über seine gesamte Regierungszeit von 1759 bis 1817 ermöglicht.
Ziel des Projektes ist es, anhand einer Auswertung der Kabinettsprotokolle des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau die politische Herrschaftspraxis in Anhalt-Dessau erstmalig grundlegend zu untersuchen und damit eine Neubewertung des Fürsten zu ermöglichen, der bislang in der Geschichtswissenschaft als aufgeklärter Reformer wahrgenommen wird. Damit leistet diese Untersuchung zugleich einen Beitrag, Herrschaft als kommunikatives Wechselverhältnis zwischen Landesherrn, Amtsträgern und Untertanen zu deuten. Das Beispiel Anhalt-Dessau bietet interessante Vergleichsmöglichkeiten zum Typus konsensgestützter Landesherrschaft im Reich, da die Kleinräumigkeit der politischen Verhältnisse größtenteils direkte Kommunikation der Untertanen mit dem Landesherrn ermöglichte. Es wird zu klären sein, ob sich dadurch im Vergleich zu anderen Territorien spezifische Mechanismen oder rhetorische Spielarten der Interaktion zwischen Untertanen und Fürsten herausbildeten. Folgende Fragestellungen und Themenfelder stehen bei der Untersuchung im Vordergrund:
1. Wie lässt sich die Landesherrschaft des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz, insbesondere seine Regierung aus dem Kabinett, im Spannungsfeld zwischen autokratischem Absolutismus einerseits und dem Typus konsensgestützter Herrschaft in den protestantischen Reichsterritorien andererseits charakterisieren? Wie bedeutsam ist in den Einzelentscheidungen die Sichtbarmachung der landesherrlichen Autorität? Inwiefern spielt die Intensivierung von Herrschaftsrechten im Entscheidungsprozess eine Rolle? Grundlegende Fragen gilt es gleichfalls im Blick zu haben: So wird eine Auswertung darüber erfolgen, wann und wie häufig der Fürst wo [D1] Suppliken beantwortete. Daraus lassen sich Rückschlüsse über die Intensität der politischen Betätigung ableiten und Veränderung während seiner Herrschaftszeit feststellen, welche auf eine Einbeziehung anderer Akteure in die Regierungsgeschäfte hindeuten könnten. Exemplarisch dafür ist die von Friedrich Reil postulierte Übertragung wesentlicher Bereiche der Regierungsgeschäfte an den Erbprinzen Friedrich nach 1808 zu nennen (Wäschke, Geschichte, S. 285). Auch der angegebene Ort der Entscheidung erlaubt Rückschlüsse auf die Regierungstätigkeit der Residenz in Dessau und Wörlitz als häufigem Aufenthaltsort. Von besonderem Interesse ist schließlich die Kommunikations- und Entscheidungspraxis während der ausgedehnten Reisen des Fürsten nach Italien, Frankreich, in die Schweiz und besonders nach England, für deren Zeiträume ebenfalls Einträge in die Kabinettsprotokolle erfolgten.
2. Die Regierungszeit des Fürsten Leopold Franz von Anhalt-Dessau geht von 1757-1817 und überspannt damit eine Zeit beschleunigten Wandels, die in der Geschichtswissenschaft gerne als Sattelzeit (Reinhart Koselleck) beschrieben wird: Fürst Franz gewinnt erste Regierungserfahrung in den Jahren des Siebenjährigen Krieges, als Anhalt-Dessau zwangsweise Ressourcen für die preußische Kriegsführung abstellen musste, verbringt dann mehr als ein Jahr auf Reisen im Ausland (###), beteiligt sich aktiv bei den Planungen zum Deutschen Fürstenbund in den frühen 1780er Jahren, erlebt die Französische Revolution und die Invasion der napoleonischen Truppen, das Ende des Reiches, den Untergang Napoleons und die Neuordnung der deutschen Territorien durch den Wiener Kongreß. Für den gesamten Zeitraum sind seine Kabinettsprotokolle überliefert, hat er [D2] seine Regierungspraxis zumindest in den Grundzügen beibehalten und nicht verändert. Es wird zu fragen sein, ob und wie sich diese epochalen Veränderungen im konkreten Regierungshandeln des Fürsten niederschlugen, sei es in den getroffenen Entscheidungen und evt. unterschiedlichen Reaktionen auf vergleichbare Anfragen und Bittgesuche, sei es in der verwendeten politischen Rhetorik sowohl der Petitenden als auch bei der Begründungsrhetorik getroffener Entscheidungen. Es läßt sich beispielsweise untersuchen, auf welche Normen und Werte jeweils in der Kommunikation zwischen Untertanen, Amtsträgern und Landesherrn jeweils rekurriert wurde und ob sich hier im Zeitverlauf Änderungen ausmachen lassen. Ferner gilt es zu klären, ob die zur Entscheidung anstehenden Themenfelder sich im Betrachtungszeitraum signifikant wandelten oder nicht.
3. Neben dem epochalen Wandel der Kontexte europäischer Politik gab es auch in Anhalt im Betrachtungszeitraum signifikante Änderungen in der Herrscherrolle des Fürsten Franz. Im Jahr 1796 fällt dem Fürsten für die Gesamtung der anhaltischen Fürstentümer, zu denen neben Anhalt-Dessau auch Anhalt-Bernburg, Anhalt-Köthen und Anhalt-Zerbst gehören, das Seniorat zu. Weitere Änderungen seines Herrschaftsbereichs ergaben sich 1797 durch die Teilung des Fürstentums Anhalt-Zerbst sowie 1812 durch die vormundschaftliche Regierung in Anhalt-Köthen, die gleichfalls dem Fürsten Franz zufiel. Alle drei Ereignisse führten zu einer Vergrößerung des Supplikantenkreises, was sich auch in einem Ansteigen der einlaufenden Suppliken niederschlägt (Faßhauer, 2005, S. 40 f.). Es gilt zu prüfen, ob neben rein quantitativen Auswirkungen die Vergrößerung des Einflussbereichs des Fürsten auch zu einer Verschiebung der an ihn herangetragenen Problemfälle führt und ob sich die von Fürst Franz eingenommene Herrscherrolle - gemessen an seinen Entscheidungen und deren Begründungsrhetorik - durch die genannten Ereignisse wandelte oder nicht.
4. Von besonderem Interesse bei der Auswertung der Kabinettsprotokolle sind dabei zwei für das Land Anhalt-Dessau bedeutsame Katastrophen in den frühen 1770er Jahren: zum einen das Elbhochwasser von 1770, zum anderen die Hungersnot von 1771/72, die ja für ganz Mitteleuropa einen tiefen demographischen und ökonomischen Einschnitt markiert. Hier wird sich ermitteln lassen, ob die Regierungspraxis in diesen Katastrophenjahren weitgehend unmittelbar mit der Bewältigung der Krise befasst war, ob beispielsweise die Supplikenpraxis dieser Jahre vor allem von Betroffenen dominiert war, welche Erwartungen konkret an den Landesherrn gerichtet wurden, wie diese Erwartungen rhetorisch begründet wurden, und auf welche Weise Fürst Franz diesen Erwartungen begegnete: zum einen mit konkretem Krisenhandeln, falls sich ein solches ausmachen lässt, zum anderen mit spezifischen rhetorischen Formeln, mit denen er sowohl dem Schicksal der Hilfssuchenden als auch seiner eigenen Rolle als Landesherr jeweils Ausdruck verlieh. In den Antworten auf die an ihn herangetragenen Bitten dürfte sich auch ein Eindruck von den Handlungsspielräumen ergeben, über die der Fürst im Moment der Krise verfügte. Gerade diese Krisenjahre dürften gut geeignet sein, das Bild von Fürst Franz als Landesvater kritisch zu prüfen.
5. Es gilt ferner anhand der Kabinettprotokolle zu überprüfen, inwiefern Fürst Franz sich bei seiner Regierungspraxis von aufgeklärten Leitideen oder spezifischen Reformimpulsen leiten ließ. Dabei gilt es darauf zu achten, ob das politische Handeln des Fürsten durch eine Agenda bestimmt war und welche Agenda das gegebenenfalls gewesen sein könnte, oder ob er situativ unterschiedlich auf die an ihn gerichteten Anfragen und Eingaben reagierte. Auch in dieser Frage spielen die Begründungsformeln für die getroffenen Entscheidungen eine besondere Rolle.
6. Die in der Forschung wiederholt postulierte Religionstoleranz des Fürsten Franz lässt sich gut überprüfen anhand der Entscheidungen, die im Zusammenhang mit dem Landeskirchenwesen einerseits oder mit der zahlreichen Judenheit in Anhalt-Dessau andererseits stehen. Lassen sich hier Argumente oder Entscheidungen finden, die es erlauben, Fürst Franz als Fürsprecher einer Gleichberechtigung der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse anzusehen, oder finden sich in der Regierungspraxis des Fürsten für diese Deutung keine Anhaltspunkte.[D3]  Ein Blick auf die Kirchordnungen und die normativen Bestimmungen zu den in Anhalt-Dessau wohnenden Juden (Beckus, ###) legt bereits eine gewisse Skepsis nahe gegenüber allzu weitreichenden Annahmen im Hinblick auf die Religionstoleranz des Fürsten Franz. So war Anhalt-Dessau nach dem Wiener Kongress unter den Territorien des ehemaligen Alten Reiches das einzige, in dem Juden für ihr Aufenthaltsrecht nach wie vor einen Schutzbrief vorweisen mussten. Inwiefern sich die Religionspolitik in früheren Jahrzehnten anders gestaltete, gilt es anhand der Kabinettsprotokolle zu prüfen. In jedem bieten die Kabinettsprotokolle hierfür eine geeignete Quelle. Wie sich bei früheren Recherchen bereits zeigte, wandten sich Schutzjuden überproportional häufig mit ihren Bittschreiben an den Landesherrn. Auch wichen deren Bittgesuche signifikant von den Eingaben anderer Bevölkerungsgruppen ab. In der Reaktion des Landesherrn auf diese Eingaben lässt sich daher dessen politische Haltung zu den in Anhalt-Dessau ansässigen Juden sehr gut beurteilen.
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